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Zehn Jahre sind vergangen, seit du nicht mehr bei uns bist. Eine unendlich lange Zeit, in der wir gelernt haben, ohne dich weiterzuleben. Doch trotz all der Jahre fällt es mir immer noch schwer, damit abzuschließen. Wochen vor deinem Sterbetag sind für mich besonders schwer – ich denke oft an dich, fühle Traurigkeit und vermisse dich unendlich. Gleichzeitig verschwimmen manche Erinnerungen, Details verblassen – und das fühlt sich manchmal wie Verrat an dir an.

Wenn ich mich diesen Gefühlen stelle, greife ich zu deinem Buch und blättere darin. Das sind die Worte, die ich zu deinem Tod geschrieben habe. Heute – vor zehn Jahren.

Die Welt steht still, weil Kathi fehlt

Am 5. Mai 2015 um 5:30 am Morgen hörte mein Kind auf zu atmen und machte sich leise auf den Weg in ein anderes Leben. Ein Leben ohne diesen schrecklichen Krebs, der 16 Monate ihr ständiger Begleiter war. Seitdem ist die Welt nicht mehr so, wie sie davor war. Für manche Dinge wird es niemals die richtigen Worte geben. Manche Dinge möchte man auch nie erleben müssen. Und dennoch passieren sie. Kathis früher und unbegreiflicher Tod ist für mich als ihre Mama immer noch ein Schock, der nun langsam der gnadenlosen Gewissheit weicht. Sie ist einfach nicht mehr da. Ich kann sie nicht mehr umarmen, umsorgen, mit ihr zu lachen, weinen, sie begleiten und bewundern für ihre Zuversicht, ihren Mut und ihre Dankbarkeit für die vielen kleinen, schönen Dinge in ihrem Leben. Ich vermisse sie. Tausendmal am Tag.
Dass Kathi eine schwere Zeit vor sich haben würde, war am Donnerstag vor ihrem Tod zur grausamen Realität geworden, dem Hoffen und Bangen wurde ein jähes Ende gesetzt. Das letzte MRT war schlecht ausgefallen. Die 30 Gehirnmetastasen zeigten ein rasantes Wachstum. Man konnte mittlerweile klar ausschließen, dass das Wachstum eine vorübergehende Nebenerscheinung von PEM (ein humanisierter und monoklonaler Antikörper und Arzneistoff zur Behandlung von metastasiertem, schwarzen Hautkrebs) war. PEM hatte nicht die Wirkung gezeigt, die wir uns alle so sehr gewünscht hatten. Kathi nahm die Nachricht gefasst auf und besprach mit ihrer Ärztin im Detail, was auf sie zukommen würde. Selbst in dieser Situation wollte sie die Kontrolle nicht verlieren, obwohl es nichts mehr zu gewinnen gab. Es war nur mehr eine Frage der Zeit, wann wichtige Körperfunktionen durch die Krankheit massiv in Mitleidenschaft gezogen würden. Es war viel davon die Rede, wie Schmerzen zu vermeiden wären. Kathi blieben noch ein paar Wochen, bestenfalls Monate. Mein Kind war zu verzweifelt, um es mir diesen Wahnsinn selbst mitzuteilen. Diese Aufgabe übernahm ihre Ärztin. Wie schon so viele Male vorher weinten Kathi und ich erst einmal fürchterlich und hielten uns fest. Dann trockneten wir die Tränen und beschlossen, einfach weiterzumachen. Sie wie die vielen Male vorher. Was wäre denn die Alternative gewesen?
Freitag erhielt sie ihre sechste Gabe PEM, tapfer und mit der verzweifelten Hoffnung, dass dies vielleicht die entscheidende Wende bringen würde. Am Wochenende war Kathi zwar stationär ans AKH gebunden, tagsüber durfte sie allerdings zu mir. Am Samstag malte ich noch mit Freunden in einer Blitzaktion ihr Zimmer aus und richtete es ein. Sie sollte es fein haben, ein gemütliches Zuhause mit Blick in den Garten. Kathi freute sich riesig über ihr neues Reich und konnte es kaum erwarten, es mit dem Krankenzimmer auf der Onkologie zu tauschen. Ich war überglücklich, ich konnte etwas für ihr Wohlbefinden tun.
Am Sonntag holte meine jüngere Tochter Julia Kathi vom AKH ab und brachte sie zu mir nach Hause. Chrisi, ihre Freundin war zum Brunch da und auch Kathis Papa fand sich bei uns ein. Es war rundum gemütlich. Die Stimmung ein wenig gedämpft wegen der schlechten Befunde, aber Rückschläge hatten wir doch schon oft. Ich erinnere mich an einen Moment, der immer wieder vor meinem geistigen Auge abläuft. Nachdem ihre Schwester und ihre Freundin gegangen waren, saß Kathi uns am Tisch gegenüber. Wir hielten beide ihre Hände, Papa hielt ihre rechte, ich ihre linke Hand. Sie sah uns an und flehte fast trotzig: „Ich will nicht, dass es schlechter wird, als es jetzt ist“. Ein Wunsch, der ihr erfüllt werden sollte.

Am Abend drehten wir noch eine kleine Runde mit Jakob, unserem Hund. Kathi war sehr müde und konnte nur ganz langsam gehen. Im Park setzte sie sich auf eine Bank und sah Jakob und mir beim Spielen zu. Auch dieses Bild geht mir nicht aus dem Kopf. Sie sah uns zu, als wäre sie ganz weit weg.
Am Abend brachte ich sie zurück ins AKH und setzte sie vor der Eingangstür ab. Wir verabschiedeten uns voneinander und vereinbarten, dass ich sie am Montag zu Mittag wieder abhole. Sie wollte noch zu einem Bluttest und die Entlassungspapiere abwarten.
Montag meldete sie sich nicht. Nach Mittag wurde ich unruhig und rief auf der Station an. Die Ärztin teilte mir mit, heute wäre kein guter Tag. Kathi sei erschöpft und schlafe tief und fest. Meinen Besuch würde sie gar nicht bemerken. Ich soll mir keine Sorgen machen, sie habe keine Schmerzen.
Am Abend hielt ich es dann doch nicht aus und fuhr zu ihr ins AKH. Kathi lag in ihrem Bett und hat meine Anwesenheit tatsächlich nicht registriert. Ihr Schlaf glich eher einem Koma. Ich streichelte sie und redete beruhigend auf sie ein. „Alles wird gut, Süße. Schlaf gut. Morgen ist wieder ein besserer Tag!

Als ich wieder zuhause war, rief ich zur Sicherheit noch Kathis Ärztin an. Zu viele Fragen gingen mir durch den Kopf. Ob sie Morphine bekommen hätte, weil sie gar so reglos schläft? Als sie mir versicherte, dass dies nicht der Fall wäre, Kathi keine Schmerzen hätte, einfach nur so, so erschöpft wäre, konnte auch ich irgendwann einmal Schlaf finden. Morgen ist sicher ein besserer Tag. Bitte, lass es so sein!
Am nächsten Morgen, kurz vor sechs Uhr, läutete dann mein Handy. Ein Arzt der Onkologie teilte mir mit, dass Kathi um halb sechs Uhr verstorben war. Ihre Atmung hatte ausgesetzt.
Nein! Nein! Nein!

Seitdem ist alles anders. Manchmal vergehen die Tage wie in Trance. Das sind die Tage, die ich lieber mag. Da spürt man den Schmerz nicht so sehr.
Kathis Freunde und Wegbegleiter sind sich alle einig. Ihr Buchprojekt muss verwirklicht werden. Die Book Release Party, die sie am 14. Juni 2015 geben wollte, kommt nun leider nicht mehr zustande. Aber Süße, ich verspreche dir, alles zu tun, damit deine Geschichte gelesen werden. Du hast es dir verdient.


In unendlicher Liebe
Mama

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