
Brustkrebs kann jede Frau treffen. Was es dafür braucht, ist lediglich eine Zellveränderung des Brustdrüsengewebes. Ursprünglich gesunde Zellen wachsen unkontrolliert, breiten sich aus und bilden schließlich einen Knoten, respektive Tumor, in der Brust. Dank intensiver Forschung, ständigen Entwicklungen und Fortschritten in der Therapie haben sich die Überlebenschancen von Betroffenen deutlich verbessert und liegen heute bei 83%. Soweit, so gut. Aber was heißt das für den einzelnen Betroffenen, was sagt das über sein Schicksal aus?
Ich unterhalte mich heute mit Petra. Sie ist eine der derjenigen, die plötzlich mit der Diagnose Brustkrebs konfrontiert war. Ihre ganz persönliche Geschichte zeigt auf, dass keine Frau auch nur ansatzweise auf einen solch dramatischen Einschnitt im Leben vorbereitet ist. Petra ist 2018 erkrankt und hat dem Krebs die Stirn geboten. Heute, nach mehr als sechs Jahren, spricht sie mit mir über diese herausfordernde Zeit.
Petra, wie hast du überhaupt erkannt, dass du Krebs hast?
Ich lag, wie so jeden Tag nach dem Aufwachen im Bett, habe meine WhatsApp Nachrichten durchgescrollt und dabei fiel mir plötzlich mein Handy auf die Brust. Es tat ungewöhnlich weh und ich tastete vorsichtig die schmerzende Stelle ab. Dabei entdeckte ich in der linken Brust einen Knoten. Ich bin jetzt keine Dramaqueen und auch nicht hysterisch, habe das fürs erste überhaupt nicht ernst genommen. Später, als ich die Begebenheit zwei Freunden erzählt habe, begann ich langsam zu realisieren, was das womöglich bedeuten könnte: „Habe ich tatsächlich Krebs?“ Im nächsten Moment fasste ich einen spontanen Entschluss. Sollte es tatsächlich so sein, würde ich mich keiner Chemotherapie unterziehen! Das mag jetzt merkwürdig klingen, wo doch die Heilungschancen bekannterweise sehr gut sind. Aber, zur selben Zeit durchlief gerade mein Chef mit Bauchspeicheldrüsenkrebs eine Chemotherapie. Ich habe miterlebt, wie er von einer Behandlung zur nächsten schwächer wurde und wie sehr er darunter gelitten hat. Er hat es letztendlich nicht überlebt. Für mich hat sich der Eindruck eingeprägt, Chemotherapie lässt dich leiden und am Ende hilft es ja doch nichts. Diese Erfahrungen waren für mich so abschreckend und prägend, dass ich eine Behandlung für mich ausgeschlossen habe.
Was hat dich dann bewogen, deine Meinung zu ändern?
Ich war völlig durcheinander, konnte keinen klaren Gedanken fassen, das Ausmaß der Situation gar nicht abschätzen. Eigentlich habe ich überhaupt nicht begriffen, was hier vor sich geht. Totales Chaos. Totale Panik. Aber was hilft das schon. Also versuchte ich Struktur in meine Gedanken zu bringen. Ich vereinbarte einen Termin für eine Mammographie, das erschien mir als der erste logische Schritt. Und wie zu befürchten war, bestätigte mir der Radiologe gleich nach der Untersuchung, dass alles auf Brustkrebs hindeutet. Natürlich müsste ich noch zur Biopsie, um weitere Klarheit zu gewinnen. Aber die Diagnose schien mehr oder weniger bestätigt. Mit einem gutgemeinten: „Sie sollten jetzt, aufgrund der psychischen Belastung, besser nicht mit dem Auto fahren“, wurde ich auch schon wieder entlassen.
Ich bin dann doch gefahren, meinte natürlich, ich habe die Situation im Griff. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass ich zu Hause auf der Terrasse stundenlang Löcher in die Luft gestarrt habe. Ich konnte mich nicht bewegen, war in völliger Schockstarre.
Hast du dich jemanden anvertraut? Ich kann mir vorstellen, dass du erst völlig überfordert warst.
Das war ich auch. Heute kann ich sagen, dass ich vieles gar nicht wahrgenommen habe. Auch wenn ich jetzt versuche, meine Erinnerungen zusammenzutragen, schaffe ich nicht jedes Einzelteilchen. Vorerst habe ich es niemandem erzählt. Nicht einmal Claudia, meiner Schwester, habe ich angerufen. Ich wollte einen Befund in den Händen halten, es schwarz auf weiß haben. Was, wenn es doch eine Fehldiagnose ist? Ich habe mich davor gescheut, meine Familie und meine Freunde zu beunruhigen. Leider bestätigte die Biopsie die Diagnose des Radiologen. Der Tumor zeigte sich klar abgegrenzt, eine Operation versprach gute Chancen. Erst hatte ich noch gehofft, ohne Chemotherapie auszukommen. Aber das war mehr Wunschdenken. Man geht wohl zu naiv an die Sache heran. Mein behandelnder Arzt stellte einen Therapieplan auf. Zehn Einheiten Chemotherapie, dann die operative Entfernung des Tumors und der Lymphknoten, anschließend Bestrahlungen. Sollte das alles gut verlaufen, folgt für ein weiteres Jahr eine Antikörpertherapie, die dafür sorgen soll, dass der Krebs nachhaltig verschwindet.
Wie ging es dir während der Chemotherapie?
Ehrlich gesagt war es wirklich übel. Mir ging es damit so schlecht, dass ich zwei Behandlungen auslassen musste. Mein Körper spielte völlig verrückt. Gott sei Dank zeigte die Therapie aber Wirkung und der Tumor verkleinerte sich. Die Chancen standen gut, dass ich meine Brust behalten würde. Das war für mich der Preis, den ich gerne bezahlen wollte. Die Operation verlief dann auch problemlos. Es wurden, wie besprochen, die Lymphknoten entfernt, um weitere Metastasen auszuschließen. Mir ging es eigentlich gut danach, ich fasste wieder Mut. Das Setzen des Port A Kaths war für mich wesentlich schlimmer gewesen. Aber diesen Zugang benötigte ich für die nachfolgenden Behandlungen.
Wie ginge es dann weiter, wann hast du mit der Bestrahlung begonnen?
Zuerst einmal musste die Operationswunde gut verheilen, bevor ich mit der ersten von zwanzig verordneten Bestrahlungen starten konnte. Voll motiviert begab ich mich ins Krankenhaus, in der Meinung, das Schlimmste hätte ich bereits hinter mir. Leider lag ich völlig falsch. Ich war ein körperliches Wrack, schon nach den ersten Behandlungen. Die Chemotherapie war schon schlimm, aber das hier übertraf es noch. Ich merke gerade, was die Erinnerung und das Erzählen davon mit mir macht!
Ich wollt dir kein schlechtes Gefühl geben, tut mir leid. Möchtest du eine Pause?
Alles gut, ich habe ja nicht nur negative Erinnerungen an diese Zeit. Eine Erinnerung, die ich noch lebhaft vor Augen habe, sind die Fahrten ins Krankenhaus zu den Behandlungen. Die Krankenkasse bewilligt mir einen Fahrtendienst und ich hatte das Glück, immer mit demselben Fahrer unterwegs zu sein. Zwischen uns hat sich eine Vertrautheit entwickelt, die mir in meiner Situation so gutgetan hat. Man ist so hungrig nach Menschlichkeit, Anteilnahme, Verständnis und Trost und findet sie dann ausgerechnet bei einem Taxifahrer.
Wer war denn dein engster Begleiter während dieser Zeit?
Meine Vertrauens- und Krisenperson war eindeutig meine Schwester Claudia. Ohne sie hätte ich das Ganze nicht durchgestanden. Meine Mutter war mit der Situation vollkommen überfordert. Und es ist so wichtig, dass jemand die Übersicht behält und nicht die Nerven verliert. Ich war ohnehin völlig durch den Wind, wenn ich nicht gerade mit Behandlungen beschäftigt war. Solange ich meinen Therapieplan abarbeiten konnte, war alles gut. Ich folgte strikt den Anweisungen. Das Krankenhausteam gab mir die Richtung vor, der ich blind gefolgt bin. Ich gab mich völlig in ihre Hände und fühlte mich verstanden und gut aufgehoben. Ich hatte grenzenloses Vertrauen.
Als du dann mit den Behandlungen durch warst, wie ging es dir da? Kam die große Erleichterung, es geschafft zu haben?
Nein, leider, das habe ich so nicht empfunden. Ich muss sagen, dass ich den Boden unter den Füßen verloren habe, als das alles zu Ende war. Ich fühlte mich verstoßen aus einem Bereich, in dem ich Sicherheit gefunden hatte. Ich durfte nicht einmal zur Nachbehandlung mehr ins Krankenhaus. Ich sollte mich künftig mit allem an meinen Hausarzt wenden. Ich glaube, genau diese Situation hat mich nachhaltig psychisch komplett aus der Bahn geworfen. Man würde doch eher annehmen, dass ich es kaum erwarten konnte, endlich als geheilt entlassen zu werden. Aber für mich hätte es so weitergehen können. Ich weiß, es klingt absurd, aber genauso hatte ich es empfunden.