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Heute steht ein besonderes Modul im Rahmen meiner Ausbildung an. Für vier Stunden sollen wir im Caritas Campus, Am langen Felde in Kagran, Selbsterfahrung in der Pflegehilfe vermittelt bekommen. Mitzubringen wären bequeme Kleidung, trittfeste Schuhe, ein Becher Joghurt oder Pudding, ein kleines Handtuch und einen Löffel. Das klingt fürs erste spannend.

Google Maps veranschlagt für die Fahrt zum Caritas Campus eine Fahrzeit von 23 Minuten. Leider weiß Google Maps gar nichts über den zähen Verkehr Ende November in der Wiener Innenstadt. Ich quäle mich zuerst über den Franz Josefs Kai, scheinbar haben jetzt alle Büroschluss. Es dauert ewig, bis ich auf die B8 gelange, über die Donau drüber ins Niemandsland. Der Caritas Campus liegt oder besser gesagt versteckt sich in einem riesigen neuen Wohnquartier, das es vor kurzem noch gar nicht gab. Alle Gebäudekomplexe sehen gleich aus und die Straßenbeleuchtung ist spärlich. Weit und breit ist niemand zu sehen, den man nach dem Weg fragen könnte. Hätte ich nicht ein paar andere herumirrende Kursteilnehmer getroffen, würde ich heute noch dort herumlaufen.

Irgendwie finden wir dann nach mehreren erfolglosen Versuchen den richtigen Eingang, eigentlich per Zufall. Alle sind genervt. Die Organisation des Kurses lässt manches Mal wirklich zu wünschen übrig. Auch unsere drei Vortragenden wirken hier verloren und meine Stimmung ist am Tiefpunkt. Es ist einer der Momente, wo ich mich ernsthaft frage, warum ich mir das antue. Ich stelle nicht den Sinn und Zweck der Ausbildung infrage. Es ist eher die logistische Herausforderung, die mir zu schaffen macht. Nach einem anstrengenden Bürotag noch quer durch Wien zu fahren, alles unter immensen Zeitdruck, das ist hart. Das habe ich eindeutig unterschätzt.

Ich atme kurz durch und beschließe, das Beste daraus zu machen. Ich bin im richtigen Vortragssaal, niemand ist an meiner schlechten Laune schuld. Ich konzentriere mich auf den ersten Vortrag: Hilfestellung bei der Ernährung und Mundpflege. Natürlich habe ich es nicht geschafft, einen Becher Joghurt zu besorgen. Ich habe schon kaum hierher gefunden und erst recht keinen Lebensmittelladen. Wir bilden Zweierteams und füttern uns gegenseitig statt mit Joghurt oder Pudding eben mit Wasser. Es ist eigenartig von einem doch fremden Menschen gefüttert zu werden. Es ist etwas sehr Intimes und ich merke, wie verletzlich und gleichzeitig abhängig ich mich dabei fühle. Es ist unangenehm, die Kontrolle über das Essen abgeben zu müssen. Wir tauschen die Rolle und ich füttere mein Gegenüber, das ganz bewusst sehr, sehr langsam schluckt. Ich merke sofort, wie schwierig es sein kann, Geduld aufzubringen und sich darauf einzustellen.

Im zweiten Teil geht es um die richtige Handhabung eines Rollstuhls. Wir suchen uns draußen in der kalten Finsternis die höchste Randsteinkante, die wir finden können und trainieren die Technik beim Überwinden des Höhenunterschiedes. Mit der Handhabung eines Rollstuhls habe ich schon einige Erfahrung. Meinen Bruder habe ich doch öfters begleitet. Es ist definitiv eine körperliche Herausforderung, denn Hindernisse gibt es viele. Unebene Oberflächen, Autos und andere Verkehrsteilnehmer. Es ist anstrengend, mir ist kalt, ich will wieder ins Klassenzimmer.

Im dritten und letzten Teil geht es um die Hilfestellung bei der Lagerung und Mobilisation. Wir helfen uns gegenseitig beim Aufstehen von einem Stuhl und wandern eingehakt im Vortragssaal herum. Das ist ein wenig mühsam und zu dieser späten Stunde denke ich ernsthaft über die Sinnhaftigkeit nach. Zu guter Letzt überziehen wir dann auch noch ein Krankenbett. Das ist der Zeitpunkt, an dem ich komplett aussteige. Mittlerweile sind wir alle schon müde und völlig unkonzentriert. Es ist einfach zu viel und wir sehnen nur mehr das Ende des Abends herbei. Als Belohnung erhält noch jeder Teilnehmer ein Stückchen Schokolade und ich flüchte in mein Auto. Bis ich zu Hause bin ist es 23:00 Uhr. I’m done!

Erst am nächsten Morgen denke ich darüber nach, was ich von diesem Vortragsabend für mich mitgenommen habe? In vier Stunden kann man Pflege weder vermitteln noch lernen. Das war bestenfalls ein Hineinschnuppern, um eine Idee davon zu bekommen. Mein Respekt und meine Hochachtung gelten allen, die einen pflegenden Beruf ausüben. Es ist eine immens verantwortungsvolle Aufgabe, die Geduld, Empathie und Fachwissen erfordert. Ich bin dankbar dafür, dass sich Menschen finden, die das aus Überzeugung und mit Hingabe tun. Ich hoffe sehr, dass ich dann in der Praxis die Gelegenheit habe, mir einige dieser Fertigkeiten anzueignen.

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